RECHTSANWALT DR. OETTL

 

Es ereignet sich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die Bilder von Jutta Nase beschreiben auf diese Weise einen Kommunikationsprozeß, der Vergangenheit und Gegenwart umfaßt, Wortgebilde und Bilderworte verbindet, der zwischen den Zeilen, eben: in between, lesen (also doch wieder lesen?) und betrachten läßt.

Es ist schwer auszumachen, ob in den "Briefen" von Jutta Nase das Bildhafte oder das Zeichenhafte überwiegt, die Welt des geschriebenen Bildes oder die Welt der gemalten (undeutlichen) Worte die Oberhand behält. Beim ersten Zugriff scheint es, die Künstlerin wolle den Betrachter veranlassen, wenn nicht geradezu zwingen, die Hyroglyphen zu entziffern, sich über die Bilder zu beugen und den Schriftzeichen einen Sinn zu entlocken. Tritt man aber zurück, ist man sehr damit einverstanden, daß es keinem noch so gebildeten Schrift-Gelehrten gelingen wird, die Zeichen zu enträtseln, das Geheimnis um die Schrift offenzulegen. Der Betrachter wird sich dann darauf verlassen, daß die Farben, die Komposition der angedeuteten Lettern, das Hervorlugen der Photographie ihm bei der Enträtselung helfen. Daß, um mit Heine zu sprechen, "die aus dem Gemüt entsteigende Idee des Kunstwerkes" sich schon der Phantasie als verwirklichende Hilfe bedienen, oder anders ausgedrückt, daß die Intuitionsästhetik der Künstlerin der Auffassungsästhetik des Betrachters auf die Sprünge helfen wird. Der Betrachter wird dabei die erstaunliche Erfahrung machen, daß es einen allmählichen Übergang des höchst Privaten - und höchst privat sind Briefe zunächst allemal - zum Allgemeinen, ja zum Archetypischen gibt, und daß es auf einmal nicht nur die gedachte Geschichte und Erinnerung der Künstlerin ist, welche aus den "Briefen" spricht, sondern daß Eigenes auftaucht und einen Erinnerungsprozeß in Gang setzt, daß es also ein dialektisches Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter gibt.

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